"Nur" Fussball...

astahlFußball kann manchmal eben nicht nur Nebensache sein. Warum? Weil er einer der wenigen Gelegenheiten ist, echte Emotionen zu erleben. Daran hapert es bei mir ständig. Und manchmal will ich das auch gar nicht, wohl wissend, dass dies kein gesundes Vorhaben ist. Dass diese Geschichte gestern mit großen Gefühlswelten zu tun haben wird, war von Anfang an klar. Das hatte sie doch letzte Woche schon! Also doch zum Fußball? Eigentlich nicht, denn es war ja (fast) alles schon geklärt. Und die Arbeit hier macht sich nicht von selbst…

Relativ kurz entschlossen steht dann doch Kumpel Ronny vor dem Ort, an den ich mich seit Jahren zurückgezogen habe, den ich manchmal tagelang nicht verlasse, an dem ich in aller Ruhe ein Buch schreibe, in dem auch Stahl Brandenburg irgendwie wieder vorkommen wird. „Lass mich doch mit der Menschheit in Ruhe, Ronny! Ich lebe hier ganz gut ohne sie…“, denke ich – und steige trotzdem zu ihm ins Auto. Ist ja auch gut so. Ich war ja in den letzten Wochen sowieso hin und wieder dabei. Fußball? Da war ja mal etwas…


Ich habe mit Stahl viel erlebt, Aufstiege allerdings bisher nur aus der Ferne. In den Herzschlagfinals, die ich gesehen habe, ging es immer gegen den Abstieg. Dafür aber sah ich einst die Qualifikation zum UEFA-Cup. Eine Meisterschaft und ein Aufstieg waren mir jedoch bisher nicht gegönnt. Als nüchterner Realist habe ich mich während und nach den letzten Spielen an all der Aufstiegseuphorie nicht beteiligt. Im Fußball kann so vieles geschehen, und dies innerhalb kürzester Zeit. Vor allem, wenn es so knapp ist… Eigentlich war mit unserem Unentschieden und dem Potsdamer Sieg in der letzten Woche doch alles klar. Aber, wenn vielleicht doch noch…? Also fahren wir nach Brieselang, bei einer sehr geringen Chance, dass der Kontrahent sein Spiel ausgerechnet an diesem Tage vergeigen würde. Brieselang kenne ich nur von Irrlichtern im Wald und von daher, dass es brisante Duelle gegen die Stahl-Frauen gegeben hat. Das Schlimmste wäre, hier kein Tor zu schießen und Potsdam in Michendorf auch nicht. Die wären aufgestiegen, und wir hätten auch diese letzte Chance liegengelassen. Trotzdem schaue ich in der ersten Halbzeit nicht auf den Ticker. Läge Potsdam jetzt schon 4:0 vorne, würde ich zwar nicht bereuen, hergefahren zu sein, aber ich könnte nun ganz entspannt zum Grillstand gehen und den Fußball eben einen Ball sein lassen. Aber hier und dort höre ich es dann doch: 0:0. Die schießen kein Tor, das ist mehr als gut. Auch wir nicht. Das Unentschieden zur Pause finde ich nicht schlecht. Würden wir führen, wüssten auch die, dass die mehr machen müssten. Vielleicht entsteht so eine falsche Sicherheit beim Kontrahenten in der Ferne. Sollte hier wirklich etwas gehen? Ganz sachte beginne ich zu hoffen.

In der zweiten Halbzeit dann müssen wir das Tor machen, sonst geht hier gar nichts. Und es kommt! Alle Dämme brechen und die 300 geilen, mitgereisten Fans drehen durch. Ja! Da geht etwas und die komplette Leidenschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten oft gedeckelt war, springt auch aus mir wieder heraus. Noch im Torjubel möchte ich die Worte meines Kumpels nicht hören! Vor einer Woche benutzte ich sie selbst und unkte nach dem verschossenen Elfmeter, dass Babelsberg eine Mannschaft sei, die so manches Mal schon die entscheidenden Tore recht spät im Spiel geschossen hat. Dieses Mal will ich diese unheilheraufbeschwörenden Sprüche einfach nicht hören! Lasst mir diese wenigen Momente, in denen ich daran glaube, dass hier vielleicht doch etwas Unfassbares geschieht, dass ich hier gerade einen Aufstieg miterlebe mit dem Verein, der als Junge meine einzige Heimat gewesen ist und an dessen Stelle ich nie einen anderen gelassen habe! Kein Dortmund, kein Hamburg, kein Magdeburg, kein Union, nur weil die irgendwann erfolgreicher waren. Du kommst einfach davon nicht los! Jetzt lasst es uns doch noch festmachen! Es folgen die längsten Minuten, die so ein Fußballspiel überhaupt haben kann. Ein Gegentor hier und keines mehr für uns – und es ist vorbei. Ein Tor für Potsdam in Michendorf – und es ist vorbei! Wieder taucht Stahl vor dem Kasten auf, versenkt das Ding und mein Handy, das noch immer das 0:0 beim anderen Spiel anzeigt, fliegt im Jubel sonstwohin. Als ich es mitten im Getöse aufhebe, sehe ich einige Meter entfernt das entsetzte Gesicht Nicos und weiß, dass in diesem Moment eine große Scheiße in Michendorf geschehen ist. Scheinbar hat er einen direkteren Draht zu diesem Spiel, als fussball.de und während die einen noch jubeln, kommt bei anderen schon die Botschaft an.

Wie groß ist die Chance, dass Michendorf noch ein Tor schießt? Ich befürchte, es gibt keine, auch wenn sie scheinbar tapfer kämpfen, denn fussball.de zeigt nun ein paar gelbe und rote Karten in diesem Spiel an. Wenigstens haben sie es versucht und den Potsdamern die Meisterschaft nicht einfach geschenkt. Dafür können wir sehr dankbar sein! Diesen Gedanken realisiere ich gerade noch, während die Enttäuschung mich unser Spiel jedoch kaum noch verfolgen lässt. Ob die Jungs, die noch immer auf dem Rasen nach vorne spielen, schon wissen, dass es umsonst gewesen ist? Sie ahnen es sicher, denn bei uns herrscht nach dem abgewürgten Torjubel eine schlimme Stille. Das Spiel in Michendorf ist bereits beendet. Es geht nichts mehr. Augenblicke später pfeift auch bei uns der Schiedrichter ins Leere. Nun weiß es auch der und die Letzte...

Dennoch schaffen es einige, die Mannschaft - zumindest so gut, wie es in diesem Moment geht - für eine fantastische Saison zu feiern. Ich war nicht sehr enttäuscht, aber doch traurig, weil ich es mir für Augenblicke einfach so sehr gewünscht habe, dass die Mannschaft mit dem besten Fußball aufsteigt. Und überhaupt...

Im Auto ging es dann schon wieder. Ich bin erwachsen und Fußball ist nicht der einzige Lebensinhalt. Aber wenn ich dann doch mal dabei bin, packt mich das Fieber wie einst. Was auch irgendwie geil ist! Nun sitze ich wieder in der Idylle, aus der ich mal herzlich grüße, und ich schreibe – auch an einem weiteren Kapitel über Stahl in den frühen 90ern. Dabei erlebe ich viele Erinnerungen an diese Zeit, aber bei aller Vergangenheit, die es vielleicht noch zu bewältigen gibt, darf ruhig ein wenig im Heute gelebt werden. Das gestern war Leben pur, mit all seinen Facetten.

Mein Wunsch: Lasst es uns nächste Saison wieder angehen! Da sind wirklich gute Leute am Werk, die im Verein meines Herzens vieles richtig machen! Danke dafür! Auch die Fans, unter denen ich sehr viele alte Bekannte, aber auch eine Menge neue Gesichter sah, waren gestern erstklassig und zeigten, wo wirklich Liebe und ein großes Potenzial steckt. Einen schönen Sommer, und auf ein Neues! Überall brannte das Stahlfeuer, wir werden weiterleben...  

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