Neu aufgelegt: Die verlorenen Jahrzehnte der Saskia Malenke

Nichts hat mich beim Schreiben je mehr bewegt, als dieses Buch. Deshalb bin ich in manchen Momenten noch immer zwiegespalten, was seine Veröffentlichung betrifft. Nur sagte mir die betroffene Frau jüngst, dass das Erzählen ihrer Geschichte sie befreit hat und es gut ist, dass es dieses Buch gibt. Nun ist es in seiner zweiten Auflage erschienen und überall erhältlich, wo es Bücher gibt (auch als e-book)

Aus meinem Nachwort von 2015:

Während meiner Aufenthalte und Arbeiten in psychiatrischen Kliniken und Suchteinrichtungen begegnete ich sehr vielen Menschen vor diesem Hintergrund. Ich traf (zu) viele, deren Lebensuhren irgendwann in der Kindheit abrupt gestoppt und deren freie Entwicklungen zu lebensbejahenden, hoffnungsvollen Menschen gewaltsam behindert worden sind. Sie blieben Menschen mit vielen verlorenen Jahrzehnten und zerstörter Lebensperspektive - Menschen, die oft eine sehr lange und intensive Begleitung benötigen, um den tiefen Abgründen ein Stück weit entfliehen zu können, in die sie einst gestoßen worden sind.

 

Einige haben mich dabei auf ganz besondere Art berührt, sind mir ans Herz gewachsen und wichtig geworden. Eine von ihnen ist Saskia Malenke, die ich seit nunmehr 13 Jahren kenne und zu der ich, auch im Rahmen der Arbeiten an diesem Buch, eine der intensivsten Beziehungen habe. Ich wusste lange Zeit nicht, wie ich eine solche Lebensgeschichte darstellen sollte, hatte Zweifel und glaubte nicht, mit diesem Buch etwas Gutes in die Welt zu bringen und sie damit zu bereichern. Doch mit voranschreitender Arbeit daran wusste ich, dass es wichtig sein würde, Saskia die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen. So schrieb ich einfach auf, was sie äußerte, und dachte darüber, ob es gut, schlecht oder korrekt sein könne, nicht mehr nach. Es sollte ein Buch entstehen, das zwar eine schreckliche Geschichte aufzeigt, welches aber auch um Verständnis werben, Vorurteile abbauen und vor allem Betroffenen zeigen kann, dass es Wege nach draußen gibt, auf denen es sich lohnt weiterzugehen, selbst wenn manch professionelle Hilfe versagt. Dabei ehrte mich Saskias Vertrauen, mir all diese schrecklichen, zutiefst persönlichen Dinge in Gesprächssituationen zu schildern, die mich vieles selbst hautnah und mit all meinen Sinnen miterleben ließen, die mir oft die Tränen in die Augen trieben und beim Schreiben auch unglaubliche Wut und Gewaltfantasien in mir auslösten. Zu wissen, dass Täter selbst Opfer sind, half mir in manchen Situationen nur wenig und oft dachte ich daran, wo ich gerade gewesen bin, wenn sie ihre schlimmsten Begegnungen hatte und wünschte mir, sie hätte schützen zu können. Das Schreiben des Buches, das Hören der Bänder aus der Traumatherapie, das Lesen von Gutachten und Berichten brachte mich oft an meine eigenen Grenzen. Für mich ist es überstanden. Wie aber geht es Saskia? Noch immer gibt es dunkle Tage, noch immer ist „es“ gegenwärtig, noch immer benötigt sie regelmäßige therapeutische Begleitung. Manchmal reicht eine Situation, ein Geruch oder ein Gedanke, um in ihr Angstzustände und depressive Stimmungen auszulösen. Der Abstand, den sie sich ... geschaffen hat, ist mitunter nicht groß genug, um den Fangarmen ihrer Vergangenheit zu entkommen. Und doch ist vieles anders geworden. Heute sehe ich sie endlich wieder auch lächeln und freue mich darüber, wenn wir uns begegnen. Saskia wirtschaftet solide, lebt frei von Schulden und hoffentlich irgendwann auch frei von der Schuld. Selbst wenn vielleicht nicht „alles wieder gut“ wird, glaube ich, dass noch viel Gutes vor ihr liegen kann. Denn ich spüre einen ungestillten Lebenshunger in ihr, verbunden mit starken Emotionen und Freude, wenn sie die richtigen Menschen um sich hat. Jene, die es gut mit ihr meinen, jene, die ihr Hoffnung geben, jene, die sie so nehmen, wie sie ist - als eine verdammt starke und liebenswerte Frau... Ein kleines Kontingent der ersten Auflage ist zum Sonderpreis von 5 Euro im Grenzton-Shop zu haben.  

 

Cover-Artwork: Marcos Cola

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